Verkauft dein Buch: Die erste Seite

Mehr als nur ein guter Anfang

 

Fünf Minuten oder eine Seite, liebe (angehende) Fachbuchautoren. So viel Zeit oder Raum haben wir, wenn wir unsere Bücher verkaufen wollen. Kaum mehr, eher weniger. Denn die Masse an konkurrierenden Büchern ist endlos, doch die Zeit unserer Leser begrenzt. Warum sollten sich die Leser für unser Buch entscheiden? – Auf diese Frage gibt es sicherlich dutzende richtiger Antworten, aber nur eine, die zählt. In diesem Beitrag wollen wir uns drei Methoden anschauen, mit denen wir unsere erste Seite in einen Angelhaken verwandeln. Sodass die Leser das Buch nicht nur kaufen wollen, sondern unbedingt müssen.

 

Spannung auch in Sachbüchern notwendig

Ich weiß, ich weiß: Wir schreiben keinen Thriller, noch nicht mal ein Werk der Belletristik, sondern möchten unsere Erfahrung und unser Know-how in Worte packen und Sätze kleiden. Trotzdem ist Spannung auch für uns eine wesentliche Zutat, die unser schriftstellerisches Gericht braucht. Denn auch oder sogar gerade in fachlicher Literatur müssen wir den Leser bei der Stange halten und motivieren, weiterzulesen, tiefer in unsere Welt einzutauchen, Fakten und Infos in Unterhaltung verpacken, sonst könnte er gleich wissenschaftliche Arbeiten und Studien lesen, da ist er zumindest an der Quelle der Informationen.

Doch das ist zu trocken, zu anstrengend und vor allem nicht spannend, ein Abstract begeistert niemanden. Die Zeit unseres Lesers ist so kostbar, dass er sich dreimal überlegt, wofür er sie investiert. Zumal ein Fach- oder Sachbuch höhere Anforderungen an ihn stellt als eine Dokumentation oder Reportage im Fernsehen. Es gibt so viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten, warum sollten er sie ausgerechnet mit unserem Buch verbringen?

 

Die erste Seite muss kicken

Deswegen muss die erste Seite überzeugen. Sie muss den Leser packen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob er diese in einer physischen oder in einer digitalen Buchhandlung liest. Auf Amazon, Tolino und andere E-Book-Plattformen kann er sich ebenso das Inhaltsverzeichnis sowie die Einleitung oder andere Auszüge anschauen und einen Blick ins Buch werfen. Wie in dem Beitrag zu den 4 Hürden der Kaufentscheidung beschrieben, ist die erste Seite ein bedeutsamer Schritt, um den Leser zum Kauf deines Buches zu bewegen. Zündet der erste Satz oder die erste Seite beim Leser, sprechen sie etwas an, zu dem er gern mehr erfahren möchte, kauft er das Buch. Wir haben gewonnen. Doch wie kommen wir dahin? – Schauen wir uns drei vielversprechende Spielzüge an:

 

Spielzug 1: Der Schock

Gehen wir noch mal an den Anfang dieses Beitrags:

5 Minuten oder eine Seite. So viel Zeit und Raum haben wir, wenn wir unser Buch verkaufen möchten.

Dieser Satz baut Dringlichkeit auf, schließlich sind fünf Minuten nicht viel. Die Kürze wirkt alarmierend, der Puls des Lesers beschleunigt sich. Es ist ein Schock. Er hat das Bedürfnis zu handeln, aber bevor er das tut, liest er erst mal weiter, um zu erfahren, warum das so ist, ob das überhaupt so ist und welche Optionen er hat, um zu reagieren. Er hat den Köder geschluckt und hängt am Haken. Ziel erreicht.
Der Schock funktioniert als Haken hervorragend, solange du den Effekt nicht überziehst. Die richtige Dosierung, das richtige Timing von Informationen ist hier von größter Bedeutung (mehr zum Timing von Informationen). Du brauchst keine unnötige Theatralik, keinen Horror oder Skandal, um zu schocken – was nicht heißt, dass du dich dessen nicht bedienen solltest, wenn es sich anbietet.

Wurde dein Fachgebiet von einem Skandal erschüttert, sorgte er in der Vergangenheit für Furore und gibt es Erkenntnisse, die unseren Alltag in einem Licht darstellen, unser Selbstbild auf den Kopf stellen oder unsere Lebensweise hinterfragen? Dann ist er thematisch perfekt für einen fesselnden Einstieg geeignet.

Spielzug 2: Die offene Frage

Eine andere Möglichkeit: Konfrontiere den Leser mit einer Frage, die er sich auch schon dutzende Male im Alltag gestellt hat, ohne eine Antwort zu finden, geschweige denn ihr nachzugehen. Oder auch auf eine Frage, die dem Leser noch nie gekommen ist, die aber jetzt, da sie einmal im Raum steht, mehr als berechtigt erscheint. Es kann auch eine direkte Frage an den Leser selbst sein:

„,Das Problem ist die Kommunikation selbst.‘ Wie oft haben Sie diesen Satz schon gehört?“

(Ries, Al & Trout, Jack: Positioning, 2012, Vahlen: München)

So beginnen Al Ries und Jack Trout ihr Werk Positioning, das zur Pflichtlektüre für Marketer geworden ist. Diese Eröffnung ist der Haken. Mit weiteren Fakten und Zusammenhängen, die der Leser sich noch nie vor Augen geführt hat, ziehst du den Lesen an Land. Oder – bei einer Frage, die sich der Leser selbst schon häufig gestellt hat – mit den für den Konflikt relevanten Fakten, die im Kopf des Lesers kreisen. Die Reihenfolge lässt sich dabei auch umkehren, wie Anthony B. Atkinson in seinem Werk Ungleichheit – Was wir dagegen tun können unter Beweis stellt:

„Ungleichheit spielt heute in der öffentlichen Debatte eine wichtige Rolle. Viel wird über das 1 Prozent und die 99 Prozent geschrieben, und das Ausmaß der Ungleichheit ist den Menschen heute bewusster als jemals zuvor. Barak Obama, der Präsident der Vereinigten Staaten, und Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), haben die zunehmende Ungleichheit zur epochalen Aufgabe erklärt. In seinem Global-Attitudes-Projekt wollte das Pew-Forschungsinstitut 2014 wissen, was die Befragten für ‚die Sorge über die größte Bedrohung der Welt‘ hielten. Es stellte fest, dass ‚die Sorge über die Ungleichheit alle anderen Gefahren in den Schatten stellt‘. Wie können wir das geschärfte öffentliche Bewusstsein in Maßnahmen und Handlungen überführen, die die Ungleichheit tatsächlich reduzieren?“ [Fettmarkierung durch mich, Kursivmarkierung durch Autor]

(Atkinson, Anthony B.: Ungleichheit, 2016, Klett-Cotta: Stuttgart)

Die offene Frage soll den Leser aus seiner momentanen Erlebniswelt, aus der Situation herausreißen und seine Gedanken in eine bestimmte Richtung lenken. Idealerweise ist dann die erste Seite konzeptionell wie ein Strudel angelegt, der den Leser förmlich ansaugt. Die Spannung steigert sich über den ersten Absatz hinweg, dessen letzter Satz eine erste, aber unbefriedigende Auflösung enthält. Er ist mehr ein Sprungbrett in das Buch als eine wirkliche Antwort.

 

Spielzug 3: Die Überraschung

Ein bewährtes Mittel für den Einstieg ist die Überraschung, das Unerwartete oder das Ungewöhnliche. Anders als der Schock baut die Überraschung keine Dringlichkeit, keine Knappheit oder Handlungsbedarf auf, sie triggert gezielt die Neugier der Leser auf das Kommende. Ein solcher Überraschungsmoment lässt sich auf verschiedene Arten herbeiführen:

A)    Durch Gegensätze, die einen Widerspruch andeuten. Dadurch will der Leser mehr erfahren, um den Widerspruch auflösen oder zumindest verstehen zu können. Z. B.

Galaktische
Schmerzen bei einer überaus alltäglichen Krankheit, das ist Migräne.

B)    Durch die Präsentation von Altbekanntem in einem neuen Gewand. Auch hier können dir Widersprüche helfen, aber ebenso gut die Frage nach der Veränderung: Was hat sich getan? Hat sich überhaupt etwas getan? Diese Frage treibt den Text voran und den potenziellen Leser in die Arme des Buches. Entscheidendes Merkmal ist der neue Blickwinkel auf etwas Vertrautes, der dem Leser einen neuen Zugang bietet. So zeigt uns Wilhelm Weischedel in Die philosophische Hintertreppe verpackt in eine schöne Allegorie einen unerwarteten Zugang zu den Thesen und Theorien bekannter Philosophen:

„Die Hintertreppe ist nicht der übliche Zugang zu einer Wohnung. Sie ist nicht hell und geputzt und feierlich wie die Vordertreppe. Sie ist nüchtern und kahl und manchmal ein wenig vernachlässigt. Aber dafür braucht man sich für den Aufstieg auch nicht besonders vornehm zu kleiden. Man kommt, wie man ist, und man gibt sich, wie man ist. Und doch gelangt man auch über die Hintertreppe zum gleichen Ziel wie über die Vordertreppe: zu den Leuten, die oben wohnen.
Auch den Philosophen kann man sich feierlich nähern: über gepflegte Läufer und an blank geputztem Geländer entlang. Aber es gibt auch eine philosophische Hintertreppe.“

(Weischedel, Wilhelm: Die philosophische Hintertreppe, 1975, dtv: München)

C)    Durch die Umkehrung von Sprichwörtern, Zitaten und regelhaften Weisheiten. Die entstehende Irritation, weil hier etwas auf den Kopf gestellt wird, beschäftigt den Leser und wieder strebt er nach einer Erklärung oder Auflösung. Ein legendäres Beispiel hat George Orwell in seinem Essay Überlegungen zu Ghandi ausgeführt:

„Heilige sollten grundsätzlich solange als schuldig gelten, bis ihre Unschuld erwiesen ist, aber natürlich gestaltet sich die Beweisführung nicht in allen Fällen gleich.“

(Orwell, George: Überlegungen zu Ghandi, in: Warum ich schreibe – Die großen Essays, 2022, Anaconda: München, S. 242)

 

Fazit

Die erste Seite ist für viele Autoren eine Hürde, denn sie müssen aus dem Kalten heraus zur Höchstform auflaufen und in einer Seite ihr schriftstellerisches Geschick und ihr fachliches Knowhow aufblitzen lassen. Nicht wenige Autoren scheitern daran. Doch mit dem jetzigen Wissen kennst du ein paar Spielzüge, wie du der Herausforderung begegnen kannst. Gerade auf der ersten Seite kommt es auf Spannung durch die richtige Dosierung von Informationen an. Ob du zu Beginn schocken willst, die Leser mit einer offenen Frage konfrontierst oder durch eine Überraschung ihre Neugier weckst, hängt von deinem Stil und deinen Inhalten ab. Möchtest du provozieren, ist der Schock der beste Zug für dich. Möchtest du vom ersten Wort an mit fachlicher Expertise überzeugen und die Leser für dein Gebiet oder deine Nische begeistern, nutze die Überraschung, um ihre Neugier zu wecken. In jedem Fall wünsche ich dir berauschende Ideen und flinkes Tippen zur Ausarbeitung einer starken ersten Seite!

 

Und wenn du feststeckst oder Unterstützung benötigst, bin ich nur einen Button entfernt:

Zurück
Zurück

Wie du in deinem Buch das Tempo hältst

Weiter
Weiter

Timing ist alles: Spannung durch Information an der richtigen Stelle