Lektorat in Eigenregie II: Welchen Ballast muss ich loswerden?
Welche Wortarten machen deinen Text schwer?
Willkommen zum zweiten Teil unseres Lektorats in Eigenregie, liebe (angehende) Fachbuchautoren! Nachdem wir im ersten Teil untersucht haben, mit welchen Strategien unser Textschiff besser am Wind segelt, wollen wir dieses Mal genauer im Frachtraum nachsehen, welche Güter es nach unten ziehen. Also womit überfrachten wir unseren Text? Welchen Ballast müssen wir konkret über Bord werfen, damit unser Text Fahrt aufnimmt? Packen wir’s an!
Verzichtbarer Ballast: Adjektive
Adjektive nehmen deinem Text den Schwung. Glaubst du nicht? – Verständlich, schließlich dienen sie uns zur Beschreibung, WIE etwas ist. Mitunter sind klärende oder bezeichnende Adjektive auch unvermeidlich, ABER: Du brauchst definitiv weniger, als du denkst. Vor allem die Aufzählung von Adjektiven solltest du vermeiden und stattdessen genau prüfen, welches am aussagekräftigsten ist oder welches den Gegenstand am genauesten erfasst, und nur dieses behalten. Streiche alle anderen. Ersetze ebenso eine Kette von Adjektiven vor einem Nomen durch ein treffendes Adjektiv, das den Sachverhalt klar umreißt. Wie auch im vorherigen Beitrag gilt folgende Regel: In der Kürze liegt die Würze.
Besonders bewertende Adjektive sind in der Regel unnötig – Spare dir also möglichst die Beurteilung von Fakten oder Vorgängen und betrachte Themen neutral und unvoreingenommen. Deine Ansichten schwingen ohnehin meist zwischen den Zeilen mit, ohne dass du sie explizit äußerst. Das reicht aus. Setze Adjektive wie Gewürze beim Kochen ein: ohne ein bisschen Salz geht es nicht, aber zu viel verdirbt das Essen. Einige wenige Gewürze verbessern ein Gericht, schüttest du aber alle Verfügbaren rein, schmeckt es nach nichts richtig.
Wie du effektiv Adjektive streichst
Meine ultimative Praxisempfehlung lautet daher: Lösche an jeder Stelle, an der zwei Adjektive stehen, eines davon. Sind es drei Adjektive, sogar zwei. Das Ziel ist, mit nur einem Adjektiv möglichst viel Bedeutungsnuancen auszudrücken, denn ein Adjektiv wirkt stets stärker als zwei und mehr. Stichwort: Prägnanz. Bei der Auswahl der Adjektive richte dich nach Präzision, Neugier und Ergänzung dessen, was schon da ist. Sollte ein Adjektiv nur eine Eigenschaft wiederholen, die in der Bedeutung des Nomens bereits enthalten ist, lösche dieses, auch wenn es das einzige Adjektiv vor dem Nomen ist. Stellt es dagegen ein frappierenden Gegensatz zu einer Eigenschaft desselben dar, gehört es unbedingt in den Text. Erzeugt es Spannung oder Neugier beim Leser, ist sein Aufenthalt in deinem Text ebenfalls mehr als berechtigt.
Was für Adjektive gilt, gilt für Adverbien erst recht
Was sind noch mal Adverbien?, wirst du dich an dieser Stelle womöglich fragen. Adverbien beschreiben kurz gesagt die Art und Weise von Handlungen näher, das kann sich auf eine spezifische Handlung im Satz richten oder auf die gesamte Satzaussage. Leider ist das Feld der Adverbien sehr weit, sodass es nicht sinnvoll ist, sie in Gänze hier zu behandeln. Der wesentliche Punkt für uns ist, dass wir auch hier nicht zu viel Ballast mit uns rumschleppen wollen, sondern den Text schlicht und schlank halten wollen.
Statt: Er ging sorgfältig und kriteriengeleitet vor, auf alle Punkt achtend.
Reicht hier: Er ging kriteriengeleitet vor.
Denn sorgfältig ist allgemeiner und damit weniger konkret, während auf alle Punkte achtend lediglich eine Redundanz zu kriteriengeleitet darstellt. Gerade bei den Adverbien gibt es eine ganze Reihe von Wörtern, die wir in unserem Text abstellen, ohne dass wir es richtig bemerken: dazu gehören gern, vielleicht, leider und auch immer. Verzichte auf und streiche diese Wörter, überall, wo es geht.
Was du bei Verben beachten musst
Kommen wir nochmal auf Prägnanz zurück. Je konkreter in Kürze oder je vielschichtiger ein sprachliches Bild ist, desto prägnanter ist es auch. Daher empfiehlt es sich gerade bei Verben, ein aussagekräftiges Verb zu wählen, dessen Bedeutung die gesamte Szene oder Handlung umreißt, anstatt eines allgemeinen Verbs, das du mit vielen Adjektiven oder Adverbien ergänzt. Denn Verben enthalten den Kern einer Handlung. Ein genaues Verb strafft Sätze, reduziert Kommas und wirkt professioneller. Statt also Unruhe und Wucherung durch zu viele Handlungen zu schaffen, beschränke dich auf die entscheidende Handlung. Oder sollten es mehrere sein, auf die wesentlichen Schritte, die du mit den passenden Verben ausdrückst, sodass jedes für sich Gewicht besitzt und elementar zum Verständnis beiträgt.
Vermeide Verbalketten, die durch den Einsatz von Modalverben (müssen, sollen, dürfen, können) oder durch Passivkonstruktionen mit werden entstehen. Setze in solchen Fällen auf Direktheit: Du richtest deine Worte mit dem Buch ohnehin direkt an deinen Leser, also sag ihm direkt, was zu tun ist, wo immer es geht. Natürlich kommst du manchmal um Modalverben nicht herum und ein Thema verlangt Fingerspitzengefühl. Das ist aber seltener der Fall, als du annimmst.
Eine große Hilfe für treffsichere Verben ist die Visualisierung der Szene oder des Schrittes. Lass sie vor deinem inneren Film ablaufen und kontrolliere, ob du alle wesentlichen Punkte verbalisiert, aber gleichzeitig dich auch auf sie beschränkst oder ob du umgekehrt deine Leser mehr ausführen lässt als notwendig. Mit der Handlung oder Bewegung vor dem geistigen Auge wird es dir leichter fallen, diese zu benennen – in einem Wort.
Die üblichen Verdächtigen: Füllwörter
Es gibt Wörter, die tauchen in übermäßigem Umfang in Texten auf, obwohl sie nur einen geringen Aussagewert besitzen. Diese Wörter korrigieren lediglich den Modus eines Satzes um Nuancen. Sie modifizieren also zwar die Aussage und rücken sie damit in ein anderes Licht, doch meist behält der Satz seine Aussage auch bei, wenn wir auf diese Wörter verzichten. Sie dicken lediglich unseren Text an, wie zu viel Fett oder Bratensoße auf dem Burger. Zu diesen Wörter zählen u. a.: sehr, dann, ziemlich, fast, womöglich, eigentlich, beziehungsweise, gänzlich. In meinem Fall gehören auch sozusagen und nahezu dazu. Jeder von uns besitzt sein eigenes kleines Säcklein von Füllwörtern, das wir über unseren Texten ausschütten. Gehe also einmal in dich, rekapituliere deine Sprachmuster, schau dir Videos von deinen Vorträgen oder anderen Reden an, falls du welche hast, und liste deine persönlichen Füllwörter auf. Mit dieser Liste lässt sich dein Text einfacher überprüfen, denn du hast die Störenfriede direkt vor Augen! Die meisten Füllwörter (die üblichen Verdächtigen) sowie die meisten Phrasen (Wiederholungstäter) kannst per Suchen-Funktion (CMD + F oder STR + F oder über das Suchfenster oben rechts in MS Word) sichten und samt und sonders löschen. Jeder Lektor und Redakteur macht das ohnehin. Bei manchen musst du ab und zu abwägen, trotzdem solltest du nur einen geringen Teil behalten.
Präzision spart Zeit
Führe dir stets vor Augen: Indem du Häufungen und Aufzählungen vermeidest, brauchst du weniger Worte und sparst Zeit. Das führt schneller zum Ziel. Und genau das wollen deine Leser: schneller ans Ziel kommen. Deswegen haben sie dein Buch gekauft und vertrauen auf deine Expertise, anstatt sich selbst alle relevanten Informationen aufwendig zusammen zu recherchieren. Zeit ist Geld, auch und besonders für deine Kunden. Halte sie also nicht hin, wenn es nicht der Spannung dient.
Bedenke zudem die Lektion des letzten Beitrags: „Eins plus eins ist die Hälfte“ – zwei verschiedene Bilder, die dasselbe transportieren sollen, überfrachten den Text und führen eher zur Verwirrung als zur Klärung. Oder schlimmer: zur Langeweile. Darüber hinaus führt Präzision bei Beschreibungen und Tätigkeiten auch zu mehr Facettenreichtum, denn wer stets präzise und bildliche Verben benutzt, zeichnet insgesamt ein lebendigeres Bild und vermeidet gleichzeitig Wortwiederholungen. Achte einmal darauf: In kaum oder schlecht überarbeiteten Sachbüchern, insbesondere Ratgebern, bleiben die Beschreibungen oberflächlich und allgemein, sodass die Autoren immer wieder machen, sein oder ähnliche allgemeingültige Verben verwenden. Das ermüdet auf Dauer und die Leser nehmen weniger mit, weil es an Details fehlt. An Präzision.
Wann „Eins plus eins ist die Hälfte“ nicht gilt
Keine Regel ohne Ausnahme: In einigen wenigen Fällen greift „Eins plus eins ist die Hälfte“ nicht. Das ist der Fall, wenn die Häufung von Attributen, Tätigkeiten oder sprachlichen Bildern einem bestimmten Zweck dient oder auf eine bestimmte Wirkung abzielt. So eine Wirkung kann die Dramatisierung der Passage sein, um die Abhandlung bewusst auf die Spitze zu treiben. Das funktioniert zur Aufladung eines Problems, um es beispielsweise möglichst groß und die Lösungsaussichten gering darzustellen. Oder um die Ausweglosigkeit einer Situation oder Entscheidung zu veranschaulichen. Hier spitzt die Häufung weiter zu. Allerdings lässt sich die Dramatisierung auch mit anderen Mitteln erreichen, z. B. einer entsprechenden Strukturierung des Textes.
Die Häufung von Verben kann aber auch zur Veranschaulichung vielfältiger Möglichkeiten dienen, z. B. um die variantenreichen Einsatzmöglichkeiten eines Werkzeugs oder einer Methode zu demonstrieren. Wenn du zeigen möchtest, wie universell eine Strategie von dir funktioniert, kann eine lange Aufzählung zu Beginn oder in der Zusammenfassung des Kapitels nützlich sein.
Fazit
Wir haben uns in diesem Beitrag angeschaut, welcher unnötige Ballast sich in deinem Text verstecken kann und wie du ihn loswirst. Du weißt nun, unter welchen Wortarten sich die meisten blinden Passagiere verstecken, die nicht für die Überfahrt mit deinem Text bezahlt haben. Sowohl Adjektive und Adverbien als auch wiederkehrende Phrasen und Füllwörter neigen zur Überfüllung deines Textes. Verben hingegen werden meist inflationär verwendet, wenn nicht klar ist, auf welche Punkte es bei einer Beschreibung oder Erklärung ankommt. Bei dem Selbst-Lektorat deines Textes solltest du beachten, dass du nicht pauschal unterteilst und löschst, sondern nach Kriterien der Präzision und Prägnanz vorgehst. Das garantiert dir Detailliertheit bei maximaler Kürze und erhöht dadurch den Lesefluss. Der wiederum deine Leser durch dein Buch trägt, sodass die Überfahrt gefühlt viel zu schnell vorbei ist. Das willst du erreichen, denn dann kaufen die Kunden auch das nächste Buch.
Wenn du nun Unterstützung beim Überarbeiten deines Sachbuches brauchst, bin ich nur einen Button entfernt: