Lektorat in Eigenregie I: Wie wird mein Text Ballast los?

Schlanker, schöner, schneller gelesen – so komprimierst du deinen Text

 

Liebe (angehende) Fachbuchautoren, nehmen wir einmal an, euer Bucherfolg wäre ein Meer, das ihr überqueren wollt, und euer Text das Schiff. Ihr verbraucht zu viel Energie, weil ihr zu schwer seid und werdet es so nicht schaffen. Was tut ihr? Ganz klar: Ballast loswerden.

 

Warum kurz gleich kraftvoll ist

Der Großteil der Texte, die bei mir zum Lektorat landen, warten sowohl mit interessanten Fakten als auch mit verständlichen Erklärungen auf, allerdings sind diese oft unter einem Haufen unnötiger Phrasen begraben. Diese Textschiffe liegen tief im Wasser, weil sie überladen sind. Auf allen Decks häufen sich nebensächliche bis unbedeutende Informationen, Randbemerkungen und Wiederholungen. Sie sorgen für Durchhänger im Lesefluss und in der Aufmerksamkeit der Leser, sodass sie schneller ermüden, Passagen überfliegen und überspringen. Sie denken: Das weiß ich doch schon, es soll bitte weitergehen! Oder sie müssen die relevanten und interessanten Daten unter einem sprachlichen Unrathaufen suchen und freischaufeln. Am Ende legen sie das Buch beiseite, ohne dass es einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Von Lesevergnügen keine Spur.

Damit dir und deinem Sachbuch das nicht zustößt, mach dir bitte beim Schreiben eines klar: Du wirst nicht nach Seiten, Zeilen oder Worten bezahlt! Es ist umgekehrt: Je mehr Worte du brauchst, um etwas auszudrücken, desto mehr Seiten füllst du, desto höher steigen deine Produktionskosten und schmälert sich dein Gewinn. Deswegen:
Komm direkt zum Punkt. Oder zum Kern der Info. Vermeide umständliche Formulierungen, vor allem jene mit langen Nominalgruppen. In einem anderen Beitrag (Aktivierende Rhetorik) habe ich bereits auf die Schwerfälligkeit von Nominalgruppen hingewiesen und hier direkt mit Schwerfälligkeit von Nominalgruppen ein treffendes Beispiel dafür geliefert. Sei dabei ruhig streng mit dir, ohne dich im Detail zu verlieren.

 

Wie du bei der Überarbeitung deines Buches vorgehst

Leichter gesagt, als getan, denkst du? Mit einem strukturierten Vorgehen nicht unbedingt. Erstelle dir vor einem Überprüfungsdurchgang eine Liste, auf welche Punkte du beim Kürzen achten willst und lege den Umfang fest, um den Überblick zu behalten und kriterienorientiert vorzugehen. So verhedderst du dich nicht in den Tauen, wenn du sprachlichen Unrat über Bord wirfst. Nimm dir zum Beispiel an einem Tag nur ein Kapitel vor und nicht das halbe Buch. So arbeitest du gewissenhaft, kannst ein paar Häkchen auf deiner Liste machen und gehst zufriedener aus deinem Selbst-Lektorat heraus. Dieses positive Gefühl sorgt dafür, dass du die nächste Lektoratssession in Eigenregie schwungvoller angehst und nicht erst drei Tage prokrastinierst, weil es mühsam ist.

Da ich unter Handwerkern aufgewachsen bin, spreche ich bei Lektoraten und Textbearbeitung gern vom Schleifen des Textes. Für mich ist der Text wie ein Stück Holz, das ich bearbeite. Dabei gehe ich systematisch verschiedene Schritte durch und entscheide wie andere Handwerker auch zwar mit Augenmaß, aber baue ein Lektorat nie auf meinem Bauchgefühl auf. Struktur und klare Kriterien sind das A und O. Gehe also nicht auf gut Glück durch den Text – das führt zu Verschlimmbesserungen – sondern teile die Überarbeitung in verschiedene Einheiten und Aufgaben mit unterschiedlichem Fokus. Du wirst ohnehin mehr als einmal durch deinen Text gehen. Versprochen.

 

Wiederholungen: Downer für den Lesefluss

Was ist so schlimm an Wiederholungen?, wirst du dich womöglich fragen. Unter Umständen wiederholst du bewusst einen Fakt oder erklärst denselben Vorgang wieder und wieder, um ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu schildern. – Ist es ein komplexer Prozess oder bringt jeder Blickwinkel neue Erkenntnisse hervor, kannst das sinnvoll sein. Aber das ist die Ausnahme und du solltest dich fragen, ob die verschiedenen Facetten nicht auf andere Art beleuchten kannst, als wiederholt beim gleichen Ansatz zu beginnen. Zum Beispiel durch ein übergreifendes sprachliches Bild oder die Erklärung in eine Geschichte gepackt. Denn Wiederholungen sind Downer für den Lesefluss und damit das Lesevergnügen. Warum das so ist, hat der amerikanische Verleger Sol Stein präzise in eine Gleichung gebracht:

„Eins plus eins ist die Hälfte.“ – Sol Stein

Was mathematisch unserem Wissen widerspricht, stellt sich bei Büchern als zutreffend heraus. Wann immer du zwei oder mehr Anläufe für eine Info, Erklärung oder Zusammenhang brauchst, verwässerst du die Aussage. Denn mit jedem weiteren Anlauf schwächst du die Strahlkraft des ersten ab. Wenn du etwas wiederholen musst, kann es auch daran liegen, dass das sprachliche Bild, das zur Erklärung zeichnest, nicht aussagekräftig und verständlich ist. Überprüfe, ob es nicht nur treffend veranschaulicht, sondern auch allgemein zugänglich ist und die Leser bei ihrem Wissensstand abholt. Wenn sie das Bild nicht verstehen, bleibt ihnen auch der Sinn deiner Erklärung verborgen. Ein weiterer Erklärungsversuch ist dabei kein Gewinn, wenn die Leser weitere Aussagen mit den vorherigen in Einklang bringen müssen, um ihnen eine Erkenntnis abzutrotzen. Der Grundsatz „Haben ist besser als brauchen“ gilt hier nicht, daher solltest du auch keine Gnade beim Kürzen zeigen. Denn dein Buch verliert nichts, es gewinnt – an Klarheit.

 

Wie du die richtige Auswahl triffst

Nicht immer sind es Wiederholungen, die gekürzt werden wollen. Ebenso oft wirst du auf Szenen und Infos in deinem Text treffen, die zwar interessant sind, aber inhaltlich nichts beitragen. Streiche auch solche Sätze, Wörter und Passagen, denn sie lenken die Aufmerksamkeit des Lesers auf falsche Fährten.

Viel zu oft bauen wir im Rede- oder Schreibfluss Sätze in unsere Texte, die keine Funktion besitzen, da die in ihnen enthaltenen Informationen davor oder danach ebenfalls stehen. Bei Vorträgen, Keynotes und anderen Reden sind kleine Randbemerkungen ein hilfreiches Mittel zur Auflockerung oder um das Publikum abzuholen, daher sind besonders Public Speaker Meister der Nebensätze und Randbemerkungen. In einem Sach- oder sogar Fachbuch gelten andere Regeln als bei Reden. Hier sind Nebensätze lediglich Füllmaterial wie die Knautschfolie in Paketen. Doch anders als die Folie mit den herrlich ploppenden Luftbläschen schützen solche Sätze nicht den Inhalt, sondern lassen in zähflüssig werden. Solche Sätze ziehen unser Textschiff nach unten, also über Bord damit!

Eine weitere Möglichkeit, deinen Text von überschüssigem Ballast zu befreien: Raffe Beschreibung. Frage dich dafür, wie detailliert es sein muss. Welche Infos brauchen die Leser an dieser Stelle unbedingt? Was kann ich auch später erklären, um hier bei einem Vorgang zu bleiben und den Fokus auf eine Erkenntnis zu legen. Was bringen die Leser an Vorwissen mit? – Dafür musst du natürlich deine Leser sowie ihren Wissensstand kennen. Beschreibungen zu raffen, bedeutet gleichzeitig, für den Leser vorzustrukturieren, also dich zu fragen: Was ist hier und was erst an späterer Stelle wichtig? Manchmal kannst du wichtige Infos auch aus dem Haupttext auslagern, um nicht zu unterbrechen und beim Thema zu bleiben. Möglichkeiten dazu bieten ein Glossar, Fußnoten oder auch Erklärboxen am Seitenrand. Dazu ein Beispiel:

Während der Zusammenarbeit mit Ralf Hoffmann an seinem Buch Milliarden mit Immobilien entschieden wir uns dagegen, den Haupttext durch Begriffserklärungen und Ähnliches zu unterbrechen, da Hoffmann sein Know-how in unterhaltsamen, autobiografischen Anekdoten vermittelte. Damit die Leser erfuhren, was ein Begriff bedeutete, ohne in einem Glossar oder Internet nachschauen und somit die Lektüre unterbrechen zu müssen, fügten wir Erklärboxen an den entsprechenden Stellen ein, um wichtige Fakten für Kontext zu geben, aber den Fließtext und damit die Story nicht zu unterbrechen. So kann auch die Organisation von Informationen in deinem Sachbuch schon allein für mehr Klarheit sorgen und den Lesefluss erhöhen. Es gibt dabei keine universell gültige Regel, sondern du solltest schauen, was zu dir, deinem Bereich und deinem Sachbuch passt.

 

Fazit

 

Das Überarbeiten und Kürzen von Fachbuchtexten ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass sie unterhaltsam, fachlich korrekt und verständlich sind. Konzentriere dich auf das Wesentliche, jeder Satz im Text sollte einen Mehrwert bieten. Denn ein schlanker Text hält den Leser bei der Stange. Indem du wertende und kommentierende Randbemerkungen, Wiederholungen und überflüssige Details entfernst, verbesserst du den Lesefluss und steigerst das Lesevergnügen. Komm bei Erklärungen und Beschreibungen direkt zum Punkt und vermeide umständliche Formulierungen.

Dafür ist strukturiertes Vorgehen bei der Überarbeitung des Buches entscheidend, um nicht den Überblick zu verlieren und sich nicht in Details zu verlieren. Durch das systematische Durchgehen und Bearbeiten können unnötige Passagen identifiziert und entfernt werden. Durch die richtige Auswahl und Strukturierung der Informationen kann der Text klarer und prägnanter gestaltet werden, was letztendlich zu einem besseren Verständnis und einer höheren Wirkung beim Leser führt.

Die Änderungen mögen im Einzelnen gering erscheinen, machen aber in der Summe viel aus. Meistens sind Texte nach einem intensiven Lektorat um mindestens 20 Prozent kürzer. Ohne jedoch wesentliche Informationen oder Zusammenhänge verloren zu haben. Willst du also frischen Wind in den Segeln deines Buches, musst du erst Ballast über Bord werfen. Los gehts!

 

1 Stein, Sol: Über das Schreiben, 2009, Zweitausendeins: Frankfurt a. M., S. 313

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Lektorat in Eigenregie II: Welchen Ballast muss ich loswerden?

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Wie du in deinem Buch das Tempo hältst