Filmisches Schreiben in Fachbüchern
Aus verschiedenen Perspektiven schreiben
Liebe (angehende) Fachbuchautoren, dieses Mal greifen wir nicht zum Stift, sondern zur Kamera und beschäftigen uns mit verschiedenen Perspektiven und filmischem Schreiben. Filmisches Schreiben? Ist das nicht etwas für Drehbuchautoren? Keineswegs! Es ist ein Werkzeug, das auch Fachbuchautoren einen erheblichen Mehrwert liefert.
Warum verschiedene Distanzen beim Schreiben wählen?
Eine berechtigte Frage. Zunächst einmal: Wir schreiben zwangsläufig aus einer bestimmten Perspektive, auch wenn wir nicht darüber nachgedacht haben, welche das ist. Was wir also hier versuchen wollen, ist die bewusste Differenzierung zwischen den verschiedenen Ebenen, um sie für unser Schreiben gezielt einzusetzen. Denn die verschiedenen schriftstellerischen Kameraeinstellungen besitzen Eigenheiten, die wir uns je nach Objekt und Fach zunutze machen können, um für Klarheit zu sorgen oder einen bestimmten Aspekt herauszustellen.
Achte darauf, dass die Kamerawechsel nachvollziehbar bleiben. Schnelle Schnitte und häufige Wechsel können zwar Spannung erzeugen, aber auch Unruhe. Ebenso entstehen Reibung und Irritation, wenn wir wiederholt stufenlos zwischen der dichtesten und der entferntesten Einstellung wechseln. Die Zuschauer oder in unserem Fall Leser können sich nicht richtig auf die mit den Einstellungen verbundenen Eigenheiten einlassen. Um das zu vermeiden, werfen wir jetzt einen Blick auf diese Eigenheiten.
4 verschiedene Stufen der „Kamera“ beim Schreiben
Die Totale
Mit dieser Einstellung, auch Vogelperspektive genannt, nimmst du das gesamte Geschehen in den Blick, Details sind zunächst nebensächlich. Es ist die Einstellung mit der größten Entfernung zum betrachteten Objekt und eignet sich daher besonders um das Ausmaß eines Umstands, einer Bewegung oder eines Aspekts zu zeigen. Wenn wir über globale Auswirkungen sprechen wollen, greifen wir meist instinktiv zu dieser Perspektive und zoomen mitunter bis ins Weltall hinaus. Vor dem inneren Auge der Leser entsteht unser blauer Planet und sie können die Zusammenhänge besser nachvollziehen, weil sie den nötigen Überblick haben.
Nehmen wir an, du willst auf die negativen Folgen der Textilindustrie für Mensch und Umwelt aufmerksam machen. Da die Kleidungsstücke der großen Marken einen langen Weg hinter sich haben – ein Shirt reist in der Regel anderthalb Mal um den Globus, bis es bei uns im Laden hängt – lohnt es sich, zunächst heraus zu zoomen und die Stationen sowie die Wege nachzuzeichnen, damit die Leser die Tragweite des Problems verstehen. Von hier aus kannst du dann in die verschiedenen Schauplätze zoomen und die Bedingen vor Ort zeigen.
Die Schauplatz-Perspektive
Hier handelt es sich um ein mittlere Distanz wie in den Nachrichten, wir sehen den einzelnen Schauplatz, z. B. das einzelne Reihenhaus, statt der ganzen Siedlung. Diese Einstellung eignet sich bei mehreren handelnden Personen oder bei der Beschreibung einer Interaktion zwischen diesen. Diese Perspektive ist für diejenigen Fachbuchautoren interessant, die sich mit Themen wie Führung, Agiles Management, HR oder sozialen Themen beschäftigen, da hier die Interaktionen von Menschen im Vordergrund stehen.
Aber auch bei unserem Beispiel mit der Textilindustrie lohnt es sich, die verschiedenen Schauplätze der Produktion zu besuchen, um die dramatischen Folgen der Textilproduktion für die Menschen dort zu verdeutlichen. Womöglich zeigst du die Nähereien in Bangladesch, in den Frauen und Kinder auf engstem Raum das zusammennähen, was nächste Saison in Europa, Amerika und Australien getragen wird. Sei dir dabei bewusst, dass es um so persönlicher und damit emotionaler wird, je näher du mit der Kamera heranfährst.
Die Nahaufnahme
Details wie Gesichtszüge füllen das Bild aus, wir sind nah an den handelnden Personen dran, sehen, was es mit ihnen macht. Einzelne Details treten in den Vordergrund und werden in aller Ausführlichkeit ausgewertet. Das kann die Beschreibung detaillierter Vorgänge sein ebenso wie eine Liste von Dos and Donts in bestimmten Situationen. Wenn du deinen Lesern erklären willst, welchen Fehler sie am Ende einer Verhandlung, kurz vorm Unterschreiben der Papiere, unbedingt vermeiden sollten, ist die Nahaufnahme die beste Wahl für dich. Du bist bei einer einzelnen handelnden Person und schaust ihr über die Schulter.
So kannst du als Fast-Fashion-Kritiker in deinem Fachbuch über die Realität der Textilindustrie die Hände der Näherinnen zeigen: Wie flink sie arbeiten, wie klein und rau ihre Hände sind. Und erinnerst anschließend daran, dass ihr Arbeitslohn noch nicht einmal eine Handvoll für sie ist.
Die Innenperspektive
Dieser Blickwinkel lässt sich schlecht als Einstellung einer Kamera umsetzen, es sei denn wir nutzen Röntgenaufnahmen oder ähnliche Verfahren. Das soll uns als Autoren aber nicht stören, wir nutzen sie um auf Gefühle, Sorgen und Gedanken unserer Protagonisten einzugehen. Auch Haltungen und Verhalten lässt sich durch diese Perspektive hervorragend darstellen. Insofern ist sie die erste Wahl für alle, die sich mit Themen wie dem Mindset, mit Ängsten und Blockaden sowie weiteren psychischen und emotionalen Faktoren beschäftigen. Aber auch für andere Fachbuchautoren ist diese Perspektive interessant, beispielsweise beim Thema Geldanlage oder Immobilien, da hier die Sorgen, Ängsten und Haltungen der Zielgruppe ebenso eine Rolle spielt wie das How-to-do-it.
In unserem Beispiel könntest du hinterfragen, was den Lesern an Mode wichtig ist und welchen Preis sie dafür bereit sind zu bezahlen – moralisch wie monetär.
Fazit
Die eine oder andere Einstellung wirst du beim Schreiben sicher schon genutzt haben, ohne weiter darüber nachzudenken. Von nun an kannst du den Abstand zum Geschehen oder zum einzelnen Objekt bewusst einsetzen, um deine Leser auf bestimmte Aspekte zu stoßen. Entscheide dich bewusst, ob du die Totale, die mittlere Distanz, die Nahaufnahme oder die Innensicht beim Schreiben zeigen willst, denn je nach dem entsteht ein anderer Eindruck beim Leser und je nach dem stellst du zwangsläufig einen anderen Aspekt in den Vordergrund.
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